LostPlaces/Pripyat.de Tour Mai/Juni 2011
Tag I / I
Während der ersten Reise in die Sperrzone von Tschernobyl wurde es mir klar, dass es nicht die letzte werden sollte. So ergeht es vielen und ich wurde ebenso zum Opfer
des chronischen “Pripjat Syndroms”. Trotz des zweitägigen Aufenthaltes hat man nur einen Bruchteil dessen gesehen, was die Zone zu bieten hat. Selbst wenn man alles
gesehen hätte, ist alleine die Atmosphäre so einmalig und einzigartig, daß es mich immer wieder dorthin zieht. Die Vorbereitungen dauerten fast ein ganzes Jahr: von der
Zusammenstellung des Teams und der Festlegung des Termins, über Organisation und Ablauf des Trips, bis hin zum Vulkanausbruch und Flugverbot über Europa, der genau
am Tag des Abfluges glücklicherweise aufgehoben wurde. Nach dem Ankommen in Kiew, zum Anfang des dreitägigen Stadtfestes und dem kurzen Kennenlernen in echt, sollte
die Reise bereits am nächsten Tag beginnen. Unser Team war echt bunt - zwei Bayern, zwei Ostwestfalen, zwei Hessen, einer aus Baden-Württemberg und ein ukrainischer
Begleiter namens Yevgen, Leiter des legendären Lost Places Projektes (www.lplaces.com). Das sorgte für genügend Witz durch sprachliche und kulturelle Barrierren, die dem
gemeinsamen Interesse zum Opfer fielen. Wir alle sitzen nun in einem Kleinbus auf dem mir mittlerweile bekannten Weg in die Sperrzone. Das Wetter ist fast schon zu gut,
wolkenlos und sehr warm. Nach einiger Zeit Fahrt kommen auch schon die bekannten Umrisse des Kontrollpunkts “Dityatki” zum Vorschein...
Ein Paar Überlegungen zum Bericht möchte ich an dieser Stelle doch noch
erwähnen: Geschrieben wird aus der Sicht einen normalen “Atomtouristen”
wie man uns in der Zone zu nennen pflegt. Ich beschränke mich darauf um
den Leser nicht mit, wie ich annehme, bereits bekannten Informationen
zu langweilen. Die Betonung liegt diesmal auf banalen Erfahrungen eines
0815 Extremtouristen: keine Sensationen, keine herzzereißenden Fotos
von künstlich hergeholten Gasmasken oder sonstigem Kram.
Es soll möglichst neutral und objektiv wirken, ohne übertrieben viel
überflüssige Gefühle und Emotionen - wie es halt eben ist:
eine durch Menschenhand entstandene Zone ein Vierteljahrhundert später.
Das soll die Besonderheit dieser Reportage werden.
Nach einem kurzen Check und einigen Fotos, die hier eigentlich nicht gestatten sind, fahren wir in Richtung Tschernobyl. Übliche Prozedur - das Programm der Reise bewilligen,
kurze Anweisung zum Verhalten in der Zone, ich nenne es mal Bürokratie. In Tschernobyl gibt es seit 2009 einige sichtbaren Veränderungen: der Lebensmitteshop im Zentrum
der Stadt, ehemalige Anlaufstelle für Touris und Zonenarbeiter wurde kurzerhand in einen Museum umgestaltet. Die Gegend gegenüber, einst völlig verwildert und unzugänglich,
wurde gerodet. Vor uns liegt ein recht großzügig angelegter Park, der sehr übersichtlich mit °Sehenswürdigkeiten” bestückt ist. Yevgen erzählte mir mal, wieso im Volksmund der
Park seinen Namen trägt: zur Zeit des Entstehens begleitete er ein paar Journalisten vom einem russischen Fernsehsender und ließ sie ohne weiteres ein paar Fotos schießen.
Aus welchem Grund auch immer, (die Idee vom Anlegen des Parks durch die Zerstörung mehrerer Wohnhäuser und damit der Zerstörung des alten Flair Tschernobyls kam nicht
so gut bei vielen Einwohnern (Selbstsiedlern) und Zonenarbeitern an) kam ein Beamter aus dem naheliegenden Gebäude der Zonenverwaltung heraus und machte ihn auf
Deutsch gesagt “zur Sau”, mit der anschließenden mündlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Bevor Yevgen wieder zu sich gekommen war, kam der nächste, diesmal noch
höhergestellter Beamter und kündigte ihm noch einmal... Ab dann nannte man diesen Park nach Yevgens Namen...
Der Park hat mich ehrlich gesagt, wenig beindruckt. Bis auf die Skulptur des Stieres mit aus irgenwelchen, mir unbekannten Gründen in rotgefärbten Genetalien ist wenig
Authentisches da. Vielleicht wird er eines Tages mehr zu bieten haben, doch jetzt erweckt er ein ziemlich sparsamen Eindruck: eine Allee aus traditionell geschmückten
Grabkreuz-Ortseingangsschildern für jeden verlassenen Ort der Zone, eine aus Schrott zusammengeschweißte Statue, ein Denkmal an dem die jüngsten Geschehnisse
in Japan gepaart mit den Atombombenabwürfen verewigt wurden (wobei ich bisher gedacht habe, dass Fukusima und Hirosima mit sh geschrieben werden), und eben
die oben erwähnte Stierskulptur (Yevgen schrieb bereits einiges darüber auf lplaces.com). Nach kurzem Spaziergang durch den Park, fahren wir die üblichen vier
Sehenswürdigkeiten von Tschernobyl an: St. Illjinskaja Kirche, “Park der Ehre”, die örtliche Feuerwehrwache und den Schiffsfriedhof. Bis auf das letzte Objekt hat sich
hier in zwei Jahren nichts getan. Einige Schiffe sind dem hohen Schrottpreis zum Opfer gefallen. Fast vergessen, das Feuerwehrauto im “Park der Ehre” wurde mittlerweile
auch als vermisst gemeldet.
Ab hier geht es zum AKW. Auch wenn man schon oft da war, hat die alte
Blechbüchse oder auch mal “Sarkophag” genannt jedes Mal eine besondere
Atmosphäre zu bieten. Außerdem gibt es ja außer Block 4 noch weitere 3
Blocks und jede Menge anderer interessanten Objekte auf dem Gelände.
Kurzer Halt in Kopatschi: Ein Monument für die Gefallenen im 2WK,
Kindergarten im dichten Gestrüpp dahinter, der Rest des Dorfes ruht bereits
seit 25 Jahren unterirdisch. Die Nähe zum AKW erklärt alles. Hier musste ich
feststellen, dass sich nichts in letzten 2 Jahren verändert hat. Gut so, denn die
meisten Veränderungen in der Zone bedeuten nichts Gutes. Diesmal nehme
ich mir die Gegend um den Kindergarten genauer vor.
Auf dem weiteren Weg passieren wir die Pripjat Brücke. Hier erschließt sich zur linken Seite die Sicht zum AKW, zur rechten - Tschernobyl und der Altlauf von Pripjat, in dem
das Schiffsfriedhof liegt. Beide Ufer des Flusses bilden abgesehen von der radioaktiven Belastung einen fast unberührtes Naturparadies. Nur ein einsamer Bus, langsam über
die Brücke kriechend, zeugt von der Anwesenheit des Menschen.
Und weiter geht´s. Die Kurve nach der das ganze AKW sichtbar wird liegt direkt vor uns und ich male mir bereits in der Vorstellung die rostigen Umrisse des Sarkophags aus...
Unerwartet wird das Auto langsamer - wir biegen auf einen holprigen Weg der zur Halbinsel der dritten Ausbaustufe führt. Überraschungen waren eingeplant, ich wittere
Spannung. Zwischen den Bäumen kommen die beiden Kühltürme hervor, doch es geht an ihnen vorbei zur sogenannten “experimentellen Fischzuchtfarm”...
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