Sperrzone von Tschernobyl März 2009
Teil III
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Als nächstes steht Pripjats Polizeiwache (GOWD) auf dem Programm. Ein dreistöckiges Gebäude mit dem großen Innenhof der nach dem Unfall zur größten Ansammlung ausrangierter
Fahrzeuge in Pripjat verwandelt wurde. Die Wache wurde erst in späteren 90ern aufgelöst, als es in Pripjat nichts mehr zu bewachen gab. Das Gebäude selbst ist bis auf einige Räume
recht unspektakulär. In einem der Zimmer fand ich eine Menge getragener Schuhe, alles was ich diesbezüglich feststellen konnte - sie waren nicht kontaminiert...
Interessanter wird es im Zellentrakt, in der Freiluftzelle, die später als Ersatzteilelager diente und selbstverständlich auf dem Hof und in den anliegenden Garagen. Informationen über
die Funktion der Garagen und des Innenhofs sind sehr dünn, offensichtlich wurde hier über Jahre defekte Technik in Stand gesetzt und teilweise auch abgestellt. Man findet hier so
ziemlich alles: vom Kran über eine mobile Militärdusche bis zum gepanzerten Aufklärer oder einer Straßenwalze.
Rund um den Innenhof befinden sich Garagen voller ausgebauter Fahrzeugteile. Von dem was hier in der Gegend rumliegt, könnte man so einiges an Fahrzeugen
aller Art wieder zusammenbauen. Was Radioaktivität angeht ist es hier relativ sauber. Alle stärker kontaminierten Fahrzeuge fanden entweder in Burjakowka oder Rassoha ihr Ende.
Hier wurde einigermaßen brauchbare Technik konzentriert. Burjakowka ist ein Endlager für hochaktive Abfälle (bis 5 R/H) mit einem relativ überschaubaren Abstellplatz für
kontaminierte Fahrzeuge. Rassoha dagegen ist (oder besser gesagt war) riesig. Zutritt zu den beiden Objekten ist für Touristen leider nicht erlaubt. Mittlerweile ist Abstellplatz in
Rassoha, den hohen Schrottpreisen sei Dank, so gut wie leer.
In der am weitesten entfernten Ecke des Innenhofs finde ich mehrere bis zur Unkenntlichkeit plattgewalzte Autos. Vermutlich sind das die Wracks der Privatfahrzeuge der
Stadtbewohner. An der Stossstange lässt sich ein Moskwitsch erkennen, die anderen Wracks bleiben leider unerkannt. Insgesamt waren in Pripjat mehrere hundert Privatautos
angemeldet. Sie wurden erst alle auf einem Marktplatz abgestellt und je nach Kontaminationsgrad für eine weitere Nutzung in der Zone freigegeben oder verschrottet. Um Diebstähle
auszuschliessen wurden kontaminierte Fahrzeuge mit Panzern überrolt und vergraben. Später wurden vereinzelt Fahrzeugwracks wieder ausgegraben ...
Die Polizeiwache mit dem Abstellplatz im Hinterhof befindet sich am nordwestlichen Stadtrand. Lagerhallen, Werkstätten und Betriebe bildeten hier einst das Industriegebiet der
Stadt... Die fast schon erdrückende Stille wird durch sich nähernde Motorgeräusche mehrerer LKWs gestört: Ganz in der Nähe, schräg gegenüber, befindet sich einer der wenigen,
noch funktionierenden Betriebe - Fuhrpark des AKW Tschernobyl. Dort stehen Lastwagen, die radioaktive Abfälle vom Kraftwerk zum Endlager nach Burjakowka befördern. Eine Kolonne
aus mehreren Lastern und einem Kran rauscht zügig an uns vorbei... Einige Hundert Meter weiter kommt man zu einem der interessantesten Industrieobjekte in Pripjat - Fabrik "Jupiter",
unterwegs kann man eins der am stärksten kontaminierten und frei zugänglichen Objekte in Pripjat besichtigen - den Greifer. Aus mir unbekannten Gründen liess man ihn hier rumstehen,
anstatt wie alle anderen kontaminierten Gegenstände, zu vergraben. "Jupiter" würde man heute nicht mehr schaffen, also verbringen wir den Rest der Zeit in der Umgebung.
Direkt gegenüber der Polizei liegt Pripjats Feuerwache SWPTsch-6 deren Personal von der AKW eigenen Feuerwehreinheit, die nach dem Unfall als erste vor Ort war, umgehend
angefordert wurde. Sie und das Kraftwerkpersonal waren die ersten Liquidatoren, die weit aus Schlimmeres verhindert haben. Das Personal, insbesondere die Arbeiter aus der
Schicht in der Unglücksnacht, blieben lange Zeit im Schatten, während die Feuerwehrleute als Helden gefeiert wurden. Man sah in ihnen die Verursacher der Katastrophe, so wurde
auch ihr zweifellos mutiges Handeln erst vor wenigen Jahren fairerweise auch als Heldentat angesehen. Fast alle bekamen sehr hohe, z. T. tödliche Strahlendosen, 28 von ihnen
starben wenige Wochen später in der 6. Moskauer Spezialklinik und wurden dort auf dem Mitinskoje Friedhof beigesetzt.
Der erste Tag unserer Reise geht zu Ende. Erschöpft kehren wir zurück nach Tschernobyl. Nach einem wirklich sehr umfangreichen aber auch leckeren Abendessen, besuchen wir in
Begleitung unseren Fremdenführer den örtlichen "Supermarkt" um sich mit Getränken einzudecken.
Alkoholverkauf ist hier erst ab 19 Uhr gestattet, der Laden ist voll mit Männern in Einheitstarnkleidung.
Es sind alles einfache Arbeiter, auf dem ersten Blick sogar ziemlich unqualifiziert... Auf meine Frage über
deren Arbeitseinsatz antwortet unser Guide trocken: - " Willst du etwa auf dem Schrottplatz das strahlende
Metall trennen?" Ich habe keine weiteren Fragen... Wir kehren zum Hotel zurück um den Abend mit ein paar
ukrainischen Biere zu gestalten. Alle sind todmüde und unser Fest findet schnell sein Ende. Morgen haben
wir viel vor, es wird mit Sicherheit ein langer Tag werden...
Teil IV