Tag II / I
Pripyat.de Tour September 2012
Zwischen Pripjat und dem AKW
Am frühen Morgen geht es wieder in Richtung Pripjat. Direkt hinter der Schranke biegen wir rechts in “Die Strasse der Enthusiasten” ab und lassen das Auto in den Büschen stehen.
Von hier aus geht es zu Fuß entlang des Stacheldrahtzauns der mittlerweile mehr Schlupflöcher als alles andere hat. Auf dem Weg werden hier und da mit Hilfe verschiedenster
Messgeräte lokale Hotspots geortet. Einige Kontaminationen lassen sich einfach erfklären, die anderen sind recht ungewöhnlich. Zum Beispiel der winzige überdachte Marktplatz:
Während es direkt davor für Pripjat relativ normale Werte zu messen sind, sieht es unter dem Dach nicht ganz so sauber aus. Ein mehrere Quadratmeter großer Fleck weist eine
mindestens 10 - fach stärkere Kontamination wie zwei Meter weiter im Freien. Die Stellen wo man man die Pfosten des Zauns einbetoniert hat - sind absolut sauber, dagegen strahlt
der Asphalt in wenigen Zentimetern Entfernung um das hundertfache mehr. Nichts ungewönnliches, der Zaun samt den Betonklötzen wurde erst nach dem Unfall errichtet und ist
dementsprechend nur schwach kontaminiert. Auf die gleiche Art kann man stellenweise neuen Asphalt vom alten unterscheiden. Wenige Meter weiter erkennt man in dichten Grün ein
Objekt das genau so zu den Markenzeichen der Stadt wie das Riesenrad und die Prometheus Skulptur gehört - “ Baum der Völkerfeundschaft” - ein typisches Kunstwerk der
Sowjetepoche: Mehrere Wappen der verschiedenen Republiken an einer Säule, mit Lautsprecher - ähnlichen Elementen versetzt bilden eine Art Baum und sollen den Zusammenhalt
verschiedenener Kulturen durch eine gemeinsame Ideologie darstellen. Die herunterhängenden Kabelreste lassen die Funktion der “Lautsprecher” erahnen, jedoch ist es wahrschein-
licher, dass diese den Strom für die Beleuchtung des Denkmales lieferten. Als Beweis gibt es ein einziges original Farbfoto des beleuchteten “Baums der Völkerfreundschaft”.
Durch ein Loch im Stacheldrahtzaun kommt man auf den “inneren” Teil der Enthusiasten Straße. Hier befindet sich das erste
Lebensmittelgeschäft der Stadt mit einem simplen Namen “Switljatschok” (Glühwürmchen). Durch das nächste Loch im Zaun
wechseln wir noch einmal die Straßenseite und tauchen in den Wald hienein...
Ein kaum erkennbarer Weg führt vom Stadtrand durch einen Waldstück direkt zum AKW. Diesen Weg nutzten damals die Mitarbeiter des Lenin Atomkraftwerkes. Obwohl es genügend
Busse gab, die das Personal mehrmals am Tag zum AKW befördeten, war diese Variante für viele gesundheitsbewusste Mitarbeiter einfach die bessere Wahl. Etwa auf dem halben
Wege mussten sie unter der Fernwärmeleitung kriechen die direkt aus dem AKW nach Pripjat führte und aus zwei meterdicken Rohren bestand. Etwas später wurde dieser Mangel
behoben in dem man eine kleine Metallbrücke bauen ließ... Der Wald ist voller Pilze, jedoch bleibt einem bei der Hintergrundstrahlung um 20 uSv/h nichts anderes übrig als einen
Messgerät daran zu halten... Ein paar Knochenfunde weisen ebenso deutlich höhere Messwerte auf. Es ist überwiegend Strontium (Sr90), ein Beta - Strahler und einer von den
meistverbreiteten Tschernobyl - Isotopen, lagert sich aufgrund der ähnlichen Eigenschaften wie die des Calcium im Knochenmark ab. Höhere Konzentrationen können unter
Umständen zur Bildung von Knochentumoren und Leukämien führen...
Schon bald kommt auch die oben besagte Metallbrücke die über die Rohrleitungen führt. Ab hier tauchen verrostete Überreste diverser
Nutzfahrzeuge vereinzelnd im Wald auf. Schätzungsweise kamen sie vom AKW in ersten Wochen nach dem Unfall, zur Zeit wo es noch
keine geordneten Abstellplätze oder Endlager gab.
Von einem Löschzug über ein Laster bis hin zum Krankenwagen ist hier alles zu finden. Fast bis auf die nackte Karosserie demontierten Überreste diverser Fahrzeugtechnik, was für die
Verhältnisse der Zone typisch ist, rosten sie vereinzelnd oder aufgehäuft zwischen den Bäumen und auf Lichtungen, verteilt auf etwa einen Quadratkilometer Waldfläche. Die Gegend
grenzt an das ehemalige Kraftstofflager was nach dem Unfall als Fuhrparkgarage des AKW benutzt wurde und momentan von Novarka bewirtschaftet wird. Irgendwo ganz in der Nähe
sind Flexgeräusche zu hören. Um nicht weiter aufzufallen ziehen wir weiter in Richtung AKW...
Die Landschaft macht einen kompletten Wandel - der schattige Wald geht abrupt in eine leicht hügelige, kaum bewachsene Steppenlandschaft über. Von hier aus sind es etwa 2 Kilometer
Luftlinie bis zum vierten Block des AKW Tschernobyl. Die Nähe macht sich auch auf dem Dosimeter bemerkbar - die Umgebungsstahlung schwankt stellenweise bis zu 35 uSv/h. Einige
Hotspots weisen Werte im dreistelligen Bereich auf. Diese Gegend bleibt wohl sicherlich auch für die nächsten Jahrhunderte für den Menschen völlig unbrauchbar... Die Aussicht auf das
AKW mit den beiden “Schornsteinen” und der “Mondlanschaft” im Vordergrund ist einfach einmalig.
Das nächste Objekt auf der heutigen Rute ist das Friedhof von Pripjat. Das Friedhof ist ebenso wie Pripjat selbst, nach typischen sowjetischen Vorgaben gestaltet. Hier sucht man vergeblich
nach alten Gräbern oder anderen religiosen Skulpturen wie an jedem anderen Friedhof. Die Gräber sind meistens von einem Metallzaun umrandet, die Grabsteine wirken eher schlicht.
Ein paar ältere Kreuze, vermutlich die ersten Gräber am Rande des Friedhofes passen nicht in das Gesamtbild. Viele Gräber werden nach wie vor durch die Nachkommen gepflegt, die
älteren versinken buchstäblich im wuchernden Grün. Bis vor kurzem hat es jährlich einen Tag gegeben, an dem man den ehemaligen Bewohnern einen freien Zutritt in die Zone gewährleistet
hat, damit diese die Gräber ihrer Verwandten und Angehörigen pflegen konnten. Diese Gelegenheit wurde von vielen “Nicht - Bewohnern” ausgenutzt, da es sehr schwierig ist alle auf
Zugehörigkeit zu kontrolieren. Nach den Eskapaden der letzten 3 - 4 Jahre beschloss die Administration der Zone diesen Tag, den 9.Mai, endgültig abzuschaffen. Nach der Genehmigung
des entsprechenden Antrages durch die Zonenadministartion, dürfen die Ex -Bewohner auch weiterhin zwecks Grabpflege in die Zone. Die Angehörigen sind mit dieser Regelung zufrieden.
Die Wiese hinter dem Friedhof endet an einem Hügel hinter dem man die milchige Silhouette des AKW erkennen kann. Vereinzelnd wachsen hier und da Bäume und Büsche, die Natur
scheint hier, wohl am verseuchtesten Ort der Welt, tatsächlich unberührt zu sein. Diese trügerische Aussicht lässt das Herz eines jeden Fotographen höher schlagen. Die unzähligen
gelben Warnschilder mit den roten Radioaktivitätszeichen verwandeln die Wiese zu einem Sonnenblumenfeld zu Blütezeit. Ich habe noch nie so viele dieser Warnschilder auf einen
Blick gesehen. Noch nicht ein mal im Roten Wald... Es lässt sich vermuten, dass man die Wiese in der ersten Phase der Beseitigung der Unfallfolgen als einfaches Endlager benutzt hat.
Die Zone ist übersäht mit solchen Feldern und Wiesen. Es bleibt nur zu hoffen, dass jemand noch den Überblick darüber behält - was, wo und wann vergraben wurde.
Video: Verlassenes Fahrzeug, Fahrzeugteile im Wald, Kleines Fahrzeugfriedhof im Wald
Video: Nahe dem AKW Tschernobyl
Video: Pripjat´s Friedhof
Video: Radioaktive Wiese nahe dem AKW Tschernobyl
Direkt im Anschluss befindet sich der größte Garagenverein in Pripjat. Üblicherweise wurden die Garagen in Großstädten in Reihe aneinander gebaut und bildeten eine Art geschlossene
Siedlung mit eigener Ein- und Ausfahrt. Da bei der Kastenbauweise der Wohnblocks keine Parkplätze oder Parkhäuser vorgesehen waren, wurden solche Garagenvereine meistens am
Stadtrand angelegt. Mit den unzähligen Garagensiedlungen entstand Ende 60 ger Jahre eine ganze Subkultur in der Sowjetunion. Ob das Auto reparieren, etwas basteln oder einfach den
Feierabend mit Garagennachbarn geniessen - für viele Männer war es ein paradiesiescher Ort. In Pripjat war es nicht anders...
Pripyat´s Garagen Pt.1, Pripjat´s Garagen Pt.2
Diese Gegend ist ebenso verhältnismäßig stark kontaminiert. Direkt neben dem Tor einer Garage finden wir einen Hotspot dessen Messwerte sich im mSv/h Bereich bewegen. In dieser
Gegend teilte sich die Falloutspur in zwei Richtungen auf und verschonte so die zur Zeit noch nicht evakuierte Stadt. Dank der Abgelegenheit ist noch Vieles erhalten geblieben - in einigen
Garagen findet man Bücher und Zeitungen, in manchen unterkellerten Garagen sind sogar noch Einmachgläser mit Inhalt zu finden. Die Geräusche in den Garagen neben an verbreiten
Unsicherheit in useren Reihen, ausserdem wird es Zeit zurückzukehren, als Nächstes erwartet uns ein 10 km entferntes Endlager...
Es geht zurück zum in der Enthusiasten Straße geparkten Auto. Der Himmel wird zunehmend dunkler, für heute Nachmittag ist Regen angesagt. In der Hoffnung das es so trüb aber trocken
bleibt, durchqueren wir den Randbezirk von Pripjat. Es ist unglaublich, wie das Wetter die Stimmung in der Stadt beeinflussen kann - der Sonnenschein erzeugt eine beruhigende, stille und
behutsame Atmosphäre, während dunkle Wolken und Regen das absolute Gegenteil bewirken - die leeren Straßen, verwahrloste Hinterhöfe und die Fenster der Wohnblocks verursachen
eine bedrohlich trübe Stimmung, die sich entsprechend in den Bildern wiederspiegelt.
Nun geht es zum Highlight der diesjährigen Reise - dem Endlager für radioaktive Abfälle in Burjakiwka. Eigentlich ist das Fahrzeugfriedhof in Rossokha das größte in der gesammten Zone,
jedoch befindet es sich momentan in der “aktiven Schlussphase”, wie man es hier zu sagen pflegt, insofern sind dort Besucher unerwünscht. Trotz der Tatsache, daß in Burjakiwka nach
der Klassifikation stärker kontaminierte Abfälle gelagert sind, werden Besucher je nach Lust und Laune geduldet. Zum Glück sind heute Nachmittag die “richtigen” Leute da, die nichts
gegen ein paar verirrte Neugierige wie uns haben. Wir nutzen diese äusserst seltene Gelegenheit...
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