Tag I / I
Pripyat.de Tour September 2012
Endlagerstätte für radioaktive Abfälle “Burjakiwka”
Das Endlager für kurz und mittellebige radioaktive Abfälle ´”Burjakiwka” befindet sich 21 km von Pripjat in westlicher Richtung. Es herrscht so gut wie kein Verkehr auf der vom Wald
umgebenen Straße. Auf dem Weg liegt keine einzige Ortschaft; wahrscheinlich hat man damals sich gerade deswegen für diesen Standort entschieden. Nach wenigen Kilometern
Fahrt, führt ein von der Hauptsrasse aus kaum erkennbarer Waldweg auf eine Lichtung mit einer in sich zusammengefallener Holzhütte. Dieser unscheinbare Ort erweist sich als
eine kleine Müllhalde, die stellenweise sehr hohe Strahlenwerte aufweist. Vor dem Unfall war auf diesem Gelände ein forstwirtschaftlicher Betrieb tätig.
Anscheinend hatte damals so mancher Fahrer keine Geduld gehabt bis nach Burjakiwka zu fahren und ließ seine Ladung kurzerhand einfach hier im Wald liegen. Zwischen verbrauchten
Gasmaskenfiltern und Kleidungsstücken sind andere persönliche Gegenstände der Liquidatoren wie das Geschirr mit Besteck und sogar ein Haarkamm zu finden. An einer Stelle scheint
es etwas besonders heißes zu sein - eine Plastikschürze strahlt im mSv/h Bereich. Spätere spektrometrische Untersuchungen ergaben eine strake Kontamination der Schürze mit Co60,
einem Kobalt Isotop der in solchen Konzentrationen nicht aus dem explodierten Reaktor als Spaltprodukt stammen konnte. Die Schürze muss jemand vom Personal getragen haben, der
entweder direkten Kontakt mit den Teilen aus dem Reaktor gehabt hat oder sie wurden absichtlich im Neutronenfluss aktiviert. Co60 ist kein typisches Tschernobyl Isotop wie Cs137 und
Sr90, seine Spuren kommen nur in der unmittelbaren Nähe des AKW in geringen Konzentrationen vor. Nach den Messungen vor Ort geht es weiter in Richtung “Burjakiwka” - einem
einzigen noch voll funktionierenden Endlager für radioaktive Abfälle und Abstellplatz für kontaminierte Fahrzeugtechnik in der Sperrzone von Tschernobyl.
Das Endlager “Burjakiwka” (russ. Пункт Захоронения Радиоактивных Отходов - abgekürzt - ПЗРО) bekam seinen Namen von einem in etwa 5 km Entfernung verlassenen Dorf. Als
bei der Beseitigund der Katastrophenfolgen eine akute Notwendigkeit der Lokalisierung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen wie kontaminiertem Boden, diversen Bauelementen,
Maschinen sowie Transportmitteln usw. entstand, suchte man auf Hochtouren nach einem dafür geigneten Platz innerhalb der Sperrzone. Aufgrund anfangs fehlender Informationen
über die Menge und Zusammensetzung der Abfälle, entschied man sich für ein modulares Sytem von Gräben, das man je nach der Menge der Abfälle, beliebig oft wiederholen könnte.
Der relativ niedrige Grundwasserpegel, die Bodenbeschaffenheit und die Nähe zum AKW waren die entscheidenen Punkte die diesen Standort bei der Auswahl für geeignet erklärten.
Auf einem etwa 1200 m langen und 700 m breitem Gelände befinden sich insgesamt 30 Gräben. Ein etwa 155 m langer, 80 m breiter und 9 m tiefer Graben kann bis zu ca. 25 000
Kubikmeter Inhalt aufnehmen. Als erstes wird ein entsprechend großer Graben trapezförmig ausgehoben und anschließend mit ca. 1 m dicken Lehmschicht aufgefüllt. Auf die
Lehmschicht kommt eine weitere Schicht aus Sand, damit die Lehmschicht beim befüllen nicht beschädigt werden kann. Nach dem Füllen der Abfälle kommt wieder eine Sand-
und Lehmschicht in Form eines Dreiecks, um mögliche Wasseransammlungen zu vermeiden, oben drauf. Die Abfälle dürfen nach einer entsprechenden Klassifizierung keine höheren
Strahlenwerte als 5 R/h (50 mSv/h) aufweisen. Es gibt auch festgesetzten Grenzwerte für spezifische Aktivitäten der Abfälle. Voraussichtliche Lagerungszeit beträgt 300 Jahre, solange
wird das Gelände radiologisch und ökologisch überwacht. Zur Zeit werden die letzten beiden Gräben gefüllt, danach muss dringend nach einer neuen Lösung gesucht werden.
Außer den optisch unscheinbaren Gräben gibt es noch einen großen Abstellplatz für die kontaminierten Fahrzeuge aller Art. Die Vielfalt der Technik und die Dimensionen des Abstell -
platzes betonen das Ausmaß der Katastrophe wie nirgendswo anders in der Sperrzone. Der Stellplatz beinhaltet ca. 600 Einheiten verschiedenster Fahrzeugtechnik - die Pallette reicht
vom einfachen Traktor, über Roboter, bis hin zum Hubschrauber. Sämtliche Ausführungen der gepanzerten Pionierfahrzeuge, Zugmaschinen, sowie einfache Lastwagen und deren
unzählige Modifikationen bekommt man nirgendswo anders wie hier - “auf einem Haufen” zu sehen. Alles was nur halbwegs stark strahlte und sich irgendwie verwerten ließ ist bereits
demontiert - nach einem Viertel Jahrhundert sind lediglich völlig verunstaltete und deformierte Karossen übergeblieben. Es sind verhätnismäßig saubere Fahrzeuge die hier noch
stehen, die anderen Kollegen hatten weniger Glück und wurden schon damals plattgewalzt und vergraben. Vermutlich lagert hier unterirdisch so einiges mehr als auf der Oberffläche.
Viele der hier abgestellte Fahrzeuge und andere “Lagerwaren” haben Geschichte geschrieben. Zum Beispiel einer der IMR-2 Pionierpanzer, der direkt am Anfang des Abstellplatzes ruht.
Nach 25 Jahren besuchte einer der Liquidatoren das Endlager und erkannte auf Anhieb anhand der Turmnummer sein damaliges Arbeitsgerät. Der daneben gelagerte Haufen
ausgedienter Bohrrohre hat mit der Katastrophe überhaupt nichts zu tun - sie liegen hier erst seit ein paar Jahren - Schuld sind die auf der Innenseite haftenden Alphapartikel. Ein paar
Schritte weiter steht eine große blaue Zisterne, die jeden Geigerzähler schon auf meterweite Entfernung zum Heulen bringt. Diese Zisterne wurde zum Abtransportieren des
hochkontaminierten Wassers benutzt, das sich in den Räumen unterhalb des havarierten Reaktors angesammelt hatte. An der Oberfläche der Zisterne kann man bis zu 4 mSv/H reine
Gammastrahlung messen... Etwas weiter liegen kontaminierte Rohrleitungen und andere Teile, die erst vor kurzer Zeit bei der Stilllegung des Kernkraftwerks demontiert wurden.
Die teilweise völlig zerstörten Fahrzeuge erzeugen mit ihrem entstellten Aussehen ein seltsames Gefühl das sich nur schlecht in Worte fassen lässt. Immer wieder kommt mir ein
grässlicher Vergleich mit einer Art Lebewesen in den Sinn. Als ob ein unfassbares Leid sich für immer in ihren Gesichtern abgezechnet hätte... Eine unsichtbare aber sehr mächtige
Kraft war lediglich verantwortlich für all das was hier zu sehen gibt... Die dicken Wolken und das trübe Wetter verstärkt passend die triste Stimmung an diesem seltsamen Ort.
Damals, als die Dimensionen des wirtschftlichen Schadens langsam sichtbar wurden, hat man die unterirdische Konservierung der Technik etwas eingschränkt, in Hoffnung es
wenigstens innerhalb der Zone benutzen zu können. Die verschonten, weniger kontaminierten Fahrzeuge, bekamen das Zonen-Logo “ЗОНА” und durften innerhalb der Sperrzone
bei diversen Einsätzen weiterhin bewegt werden. Früher oder später landeten auch diese bestenfalls auf den Abstellplätzen in Rossoha oder hier in Burjakiwka. Die ersten Jahre
nach der Katastrophe wurden die Stellplätze von bewaffneten Soldaten Tag und Nacht überwacht, trotzdem waren Diebstähle oder ein fast alltägliches Geschäft...
Die IMR-1 und IMR-2 Pionierpanzer sind hier die am stärksten kontaminierten Zeitgenossen. Mit ihrer Hilfe räumte man in der unmittelbaren Nähe des Reaktors die hochradioaktiven
Innereien und Trümmer auf, beeridgte den Roten Wald und die hoffnungslos verstrahlte Dörfer, walzte hochkontaminierte Technik passend für die Gruben. Mit anderen Worten - sie
erledigten die Drecksarbeit. Die Panzerung schützte etwa um den Faktor 10, was oftmals bei Weitem nicht ausreichend war. Später bekamen einige dieser Maschinen einen besser
gepanzerten und mit typisch gelben Bleiglasfenstern bestückten Turm. Auch auf die Schnelle montierten Bleibleche waren öfters mal die Lösung gegen eine sehr hohe Strahlung.
Ein weiteres Highlight dieser Ausstellung ist die Roboter-Ecke. Ausgerechnet hier steht der “Joker” - ferngesteuertes Kettenfahrzeug aus deutscher Herstellung das im Einsatz auf
dem Dach des dritten Blocks gewesen war. Seine Aufgabe war die hochradioaktiven Trümmer vom Dach zu räumen um damit die Strahlung einzudämmen. Joker blieb auf einem
Graphitblock stecken der bei der Explosion aus dem Reaktorkern herausgeschleudert wurde. Nun mussten Menschen aufs Dach, um mit einfachen Mitteln wie Spaten und Flaschen
- zug dem Joker aus der Klemme zu helfen... Die Bergung des Joker kann man in diesem Originalvideo ca. ab der 9.Minute anschauen. Neben dem Joker ruht sein sowjetischer
Kollege, gebaut auf der Basis des Mondfahrzeugs “Lunohod”. Auch er hatte sich nicht als wirklich nützlich erwiesen. Die hohe Strahlung auf dem Dach verschonte nicht einmal
sonst so strake Roboternerven... Bemerkenswert ist dass der Glanz des hochlegierten Metalls trotz so vielen Jahren Lagerung im Freien kein bisschen verblasst ist...
Diverse Hubschrauber sind hier ebenfalls Stammgäste... Leider sind hier nur größere Stücke der Außenhaut übergeblieben so dass es kaum möglich ist den Typ zu erkennen. Einige
Merkmale und vor allem die Dimensionen deuten auf Mi - 6 oder Mi - 26 Großraumhubschrauber. Die Maschinen spielten eine entscheidende Rolle bei der Beseitigung der Unfallfolgen
in den ersten Tagen und beim späteren Bau des Sarkophags. Das großflächige Versprühen des Bindemittels zur Staubunterdrückung konnte nur aus der Luft vorgenommen werden.
Aufgrund des Personalmangels flogen die Hubschrauberpiloten ihre Einsätze unter sehr schwierigen Bedienungen und erhielten dabei höhere Dosen als die Menschen am Boden.
Der Mann der uns diese Besichtigung ermöglicht hat, zeigt sich besorgt über die Zukunft von Burjakiwka. Laut seiner Aussage sind die Gräben fast voll, bald soll es mit der Auflösung
des Abstellplatzes begonnen werden. Kaum zu glauben, dass der ganze Inventar hier bald “verschwinden” wird. Seiner Aussage nach, werden die Fahrzeuge, ähnlich wie in Rossoha
- dem grössten Abstellplatz, dekontamininiert und weiterverwertet. Besonders stark verschmutzte Teile werden hier vor Ort vergraben. Die Gesetze der freien Marktwirtschaft machen
auch in der Sperrzone keinen Halt - man versucht die laufenden Kosten gering wie möglich zu halten und das Geld anderweitig zu verwenden.. Wir bedanken uns herzlich für seine
Zeit und machen uns auf dem Weg nach Pripjat. Die ein paar Stunden die uns heute überbleiben, sollen der Aufklärung des alten Mythos über die Kisten im Keller von “Jupiter” dienen...
Video: Endlager und Fahrzeugfriedhof “Burjakiwka” Teil 1, Teil 2, Fahrt durch “Burjakiwka”
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