Tag I / II
Pripyat.de Tour September 2012
Pripjat. Fabrik “Jupiter”. Der Schutzbunker
Es fängt an zu regnen. Eine Aussicht auf Besserung ist zumindest für heute Abend nicht zu erwarten. Die restlichen Stunden will man nicht unbedingt verschenken und so suchen wir
nach einer Lösung die Zeit irgendwo im Trockenen zu verbringen. Alle sind sich schnell einig - der Schutzbunker der Radiofabrik “Jupiter” soll uns vor Nässe schützen. Die
Überlegungen, dass man sowieso nur heute Abend die Zeit hätte, möglichen Funde aus dem Bunker zu untersuchen ohne sie aus der Sperrzone rausbringen zu müssen, sprechen
gänzlich für sich... Die mehrfache Ausführung der individuellen Schutzausrüstung - in diesem Fall absolut notwendig, ist ebenso vorhanden... Schnell umgezogen geht es mal wieder
in den überfluteten, muffig - nassen Schutzbunker. Was auch immer es ist - was einen in diese Höhle der nuklearen Apokalypse herabsteigen lässt - es ist einmalig...
Der Rückweg führt wieder an der altbekannten “Fackel” und dem AKW vorbei, wo auf der Baustelle der neuen Schutzhülle auch diesmal fleissig gearbeitet wird... Ohne ein wirklichen
Plan geht es einfach in Richtung Pripjat. Die Wachmänner am Kontrollpunkt machen die Schranke hoch ohne dabei in die Papiere zu gucken, scheinbar sind wir hier schon zu
Stammkunden geworden. Wir passieren den Kontrollpunkt, fahren am Holzkreuz von Pripjat in die Lesja Ukrainka Straße rein und parken neben der ehemaligen Elektrowerkstatt den
Wagen. Nebenan befindet sich der alte Schießstand; in den Jahren nach der Katastrophe war hier ein dosimetrisches Labor vom staatlichen Betrieb “Komplex” untergebracht.
Das Licht der Taschenlampen in der sonst absoluten Dunkelheit des Bunkers lässt mich einige bereits bekannte Räumlichkeiten wiedererkennen. In dem grössten Raum lagern nach
wie vor hunderte Proben des kontaminierten Bodens aus vielen Ortschaften der Zone. Auf den Beipackzetteln sind Werte sowie Koordinaten und Tiefen der entnommenen Proben
eingetragen. Hoffentlich hat man die Daten an einem anderen sicheren Ort zusammengefasst, denn es wäre Schade wenn die Ergebnisse einer langjährigen dosimetrischen
Überwachung der Sperrzone hier eines Tages verloren gehen würden. Der Rest des Inventars ist zwar auch außerordentlich interessant, stellt jedoch keinen besonders wichtigen
Wert dar. Der Schutzbunker von “Jupiter” ist kein willkommener Ort für Normaltouristen, dadurch bleiben die meisten Gegenstände über längere Zeit zum Glück weitesgehend unberührt.
Nach der genaueren Erkundung stellt man fest, dass der Bunker weit aus größer ist, als man es vor einem Jahr angenommen hat. Die Dunkelheit und identische Anordnung der Räume
entlang der Gänge machen die Orientierung unter den Umständen nicht gerade einfach. In der Sorge sich hier unten zu verlaufen kehrt man zum Ausgang zurück, wo sich auch die
scheinbar abgesperrte “Vorratskammer” mit den vier rätselhaften Kisten befindet. Die mit dem Vorhängeschloss gesicherte Absperrung der “Vorratskammer” lässt sich ganz einfach zur
Seite schieben und bietet Platz um hindurch zu kommen. Die Nähe der Kisten macht sich schon hier in einigen Metern Entfernung bemerkbar. Ein verrosteter Metallschrank schirmt die
von den Kisten ausgehende Strahlung etwas ab, doch sobald man diesen passiert hat, heulen alle möglichen mitgebrachten Gerätschaften lautstark auf...
Die bisherigen Vermutungen über den Inhalt der Kisten und über die Zusammensetzung des darin enthaltenen sandartigen anthrazitfarbenen Granulates sollen diesmal endgültig geklärt
werden. Als Erstes wird die erste Kiste komplett entleert. Nach etwa 10 Minuten schaufeln kommt der Metallboden der Kiste zum Vorschein. Außer dem Sand ist hier nichts drin. Der
Sand ist jedoch radioaktiv, ebenso konnte eine Alphaaktivität mit einem portablen RAM-63 Alphaszintillator direkt an der Oberfläche nachgewiesen werden. Womöglich hat man den
Sand als Absorber benutzt, bis dieser stark kontaminiert war und hier unten “endgelagert” werden musste. Die nun leere Kiste ist an die untere entweder angerostet oder angeschweisst
worden, alle Versuche sie zu bewegen scheitern. Die zweite obere Kiste ist nur etwa 15 cm mit dem gleichen Sand aufgefüllt, darunter kommt überraschenderweise Beton. Die Messungen
direkt an der Betonoberfläche offenbaren die wahre Quelle der Strahlung. Im Gegensatz zu der sonstigen Umgebung schaltet das Dosimeter an dieser Stelle in mSv/h Bereich um...
In einem neuentdeckten Raum befindet sich ein auf den ersten Blick ein erschrekender Fund: es ist ein Graphitblock, die man zu Tausenden im Kern eines RBMK-1000 Reaktors als
Moderator verbaut hat. Das Dosimeter gibt schnell Entwarnung - dieser hier war zum Glück nie im Einsatz und ist absolut sauber. Solche Blöcke die bei der Explosion auf das Dach
des dritten Reaktors herausgeschleudert wurden, stellten für die Liquidatoren die größte Gefahr dar. Wofür so ein Ding hier benutzt wurde, lässt sich nur schwer erraten. Im weiteren
Raum finden wir für die Alpha - Spektrometrie vorbereitete Proben - runde Metallplättchen, auf die man durch Elektrolyse verschiedene Pu Isotope aufgetragen hat...
Trotz der fehlenden Möglichkeit den einbetonierten Inhalt der zweiten Kiste zu untersuchen, ist man doch einwenig weitergekommen. Es ist nicht nur der Sand, der für die massive
Strahlung hier unten sorgt. So klärt sich ein Mythos während der andere an seiner Stelle entsteht... Beim Herumstöbern in der abgesperrten Vorratskammer erblickt ein anderer
hochkontaminierter Gegenstand das Licht unserer Taschenlampen - es ist ein entweder von einem Soldaten oder Feuerwehrmann getragener Stiefel. Bei der Näherung der Alpha, Beta,
Gamma Zählrohrsonde meines Automess 6150AD2 Dosimeters zur Sohle des Stiefels, wird der maximale Messwert von 10 Tausend Imp/s binnen weniger Sekunden überschritten...
Ungewollt entstehen Fragen, beängstigende Gedanken kriechen bei dem Anblick des Stiefels und des Dosimeter in den Sinn: Welcher arme Kerl hat das getragen?
Von jedem Fund werden kleine Wishproben für spätere Untersuchungen gemacht. Nach dem zügigen Umziehen in saubere Kleidung
geht es raus aus der stillen Geisterstadt - “unter die Menschen” - zur Kantine des AKW wo bereits ein ausgiebiges ukrainisches 4 Gänge
Menü auf uns wartet. Danach kehren wir “heim” nach Tschernobyl, wo man den täglichen, oder besser gesagt abendlichen Einkauf
erledigt und nach kurzem Konsum der traditionellen Feierabendgetränke sich an die Arbeit mit dem Spektrometer ran macht. Hier
kommen, die für die Sperrzone typischen üblichen Verdächtigen: in allen Proben ist Cs137 in erheblichen Konzentratonen vorhanden.
Dieser typische Tschernobyl Isotop hat den größten Anteil von allen durch den Unfall freigesetzten Radionuklide. Die Wissenschaftlerin
unter uns wird später sehr genau über die Zusammensetzung, Aktivität, und andere Eigenschaften von den Proben der jeweiligen
Funde berichten. Im Hotel angekommen, werden in einer gemütlichen Atmosphäre die Geschehnisse des heutigen Tages ausdiskutiert
und möglichen Pläne für den nächsten, letzten Tag unseren Aufenthaltes in der Sperrzone von Tschernobyl überlegt. Eigentlich sind keine
weiteren Highlights genehmigt und somit auch nicht zu erwarten, doch alle hoffen auf etwas Interessantes, was sich oftmals sehr spontan
ergeben kann...Die Idee den Filter der Atemschutzmaske auf mögliche Kontamination zu untersuchen bringt ein ernüchterndes und
eigentlich zu erwartendes Resultat: Der Filtereinsatz aus feinsten Fasern hat es ganz schön in sich - 33 imp/s...
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