Pripyat.de Tour September 2012
Tag III / II
Letzter Tag. Der Abschied
Zum letzten Mal geht es entlang des AKW und des Roten Waldes zurück zu der verlassenen Satellitenstadt. Am Pipjat - Denkmal beobachten wir ein uns seltsam erscheinendes
Schauspiel, das aber eigentlich für diese Gegend ziemlich gewöhnlich ist: Eine größere Gruppe “Atomtouristen”, wie sie von den Einheimischen liebevoll genannt werden, macht hier
Halt um Fotos zu schiessen. Die beiden Fremdenführer der Gruppe versuchen mit einem Lösungsmittel eine Hinterlassenschaft anderer Besucher vom Denkmal zu entfernen. Die
Atomtouristen beschäftigen sich mit dem Fotografieren oder bestaunen ihre kleinen gelben Messgeräte... Der Tourismus zählt hier mittlerweile - genauso wie die Radioaktivität - zu
den alltäglichen Erscheinungen.
Die restlichen Stunden unserer Reise sollen möglichst ohne lästigen Zeitdruck verbracht werden. Man schlendert gelassen durch die zugewucherten Gassen der Stadt. Während des
ziellosen Spazierganges stoßen wir auf die Mittelschule # 3, die durch das überall wuchernde Grün von der Straße aus kaum zu sehen ist. Die größte Schule in Pripjat besteht aus einem
Hauptgebäude und 2 weiteren Flügeln mit jeweils einem Innenhof. Durch die quadratische Anordnung der Flure auf teilweise 3 Etagen kann man hier schnell die Orientierung verlieren.
Die Schule # 3 in der Sportiwnaja Str. 14 befindet sich, wie mittlerweile die meisten Gebäude in Pripjat, in einem sehr schlechten Zustand. Sie gehört - ebenso wie die bereits einge-
stürzte Schule # 1 - zu den ältesten der Stadt. Es wird auch hier nicht mehr lange dauern, bis irgendeine Ziegelsteinmauer unter der Last der Zeit zusammenbricht... Das Betreten der
Schulklassen wirkt auf mich wie eine Zeitreise in die Vergangenheit; dieselbe Tafel, dieselben Schulbücher und Hefte und die selben propagandistischen Plakate an den Wänden...
Die allgegenwärtigen Plakate und andere sowjetisch geprägte “Kunstwerke” verdienen besondere Beachtung. Schon im jüngsten Schulalter wurde mit Hilfe solcher Plakate,
verschiedener Literatur und anderen Medien versucht, die sowjetische Moral der Schüler zu formen und zu verfestigen. So musste man oftmals patriotische Gedichte und Lieder
als Hausaufgabe auswendig lernen. Ob das dahinter versteckte Ziel jemals erreicht wurde? Schwer zu sagen - ich habe das Ganze als Kind jedenfalls einfach nicht so wahrgenommen...
Das Schwimmbad “Lasurnij” (russ.: türkisblau) ist quasi gleich um die Ecke; ich hatte bei der letzten Reise auf seine Besichtigung verzichtet. Es bietet aber bei strahlendem Sonnen-
schein ganz bestimmt ein tolles Motiv... Und richtig, ich wurde nicht enttäuscht: Die Sonnenstrahlen formen ein schönes Schattenspiel auf den einst strahlend weißen Fliesen des
Beckens. Das einzig unschöne sind die hässlichen Schmierereien, die seit etwa zwei Jahren das Gesamtbild des Schwimmbades verunstalten.
Für einen warmen Sonntagnachmittag ist es heute in Pripjat ungewöhnlich leer. Von der großen Gruppe am Denkmal ist in der Stadt (zum Glück) auch keine Spur. Abgesehen
von den beiden Wachmännern am Kontrollpunkt ist man wirklich ganz allein in der Stadt. So soll es in einer Geisterstadt ja auch sein, würde ein aufmerksamer Leser sagen.
Nun, Pripjat ist wohl die am meisten besuchte Geisterstadt der Welt, eigentlich trifft man hier immer Menschen... So aber schlendert man ohne ein wirkliches Ziel und ohne Zeitgefühl
durch die grün bewucherten Innenhöfe der verfallenen Plattenbauten und durch die ehemals breiten Straßen, die mitllerweile wie kaum erkennbare Schleichwege aussehen...
Die Zeit drängt jetzt, uns bleibt nurnoch eine halbe Stunde. Plötzlich kommt Unruhe in unseren Reihen auf: Was könnte man noch schaffen? Wer hat noch eine Idee? Wo waren wir
denn noch nicht? Bei den für diese Jahreszeit fast schon zu warmen Temperaturen ist die Bootsanlegestelle am Cafe “Pripjat” genau das Richtige. Ganz in Ruhe genießt man nochmal
die Aussicht auf den Altarm des gleichnamigen Flusses “Pripyat” und auf das halbversunkene Hausboot an der Einmündung. Vor dem endgültigen Verlassen der Stadt kommt man noch
auf einen Sprung im Krankenhaus vorbei, um von dem Innenteil des kontaminierten Feuerwehrhelms eine Wischprobe zu nehmen. Jetzt müssen wir uns beeilen, um rechtzeitig zum
Flughafen in Kiew zu kommen...
Video: Auf der Straße nach Pripjat
Video: Pripjat am späten Nachmittag
Video: Anlegestelle am Altarm von Pripjat, Die Rückfahrt
Im Hotel werden schnell die Koffer gepackt - und schon ist man auf dem Weg zum Kontrollpunkt “Ditjatki”, wo alles vor drei Tagen begonnen hatte. Der Test am Ganzkörper -
Kontaminationsdetektor ist bestanden. Die langgezogenen Schatten im glitzernden Sonnenschein verleiten dazu, doch noch ein paar gute Schüsse mit der Kamera zu landen...
Und dann sind wir auch schon raus aus der Zone... Unfassbar, dass bloß ein paar Meter einen Unterschied wie zwischen Tag und Nacht ausmachen können. Verseucht und sauber.
Verlassen und belebt. Verloren, doch nicht vergessen...
ENDE
Vielen Dank an alle die mitgewirkt haben, besonders an meine treuen Gefährten bionerd23 und Floh86.
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