LostPlaces/Pripyat.de Tour Mai/Juni 2011
Tag I / V
Hier bestimmen eindeutig die vier riesigen Kräne die Kulisse. Der Hafen war zum Zeitpunkt der Katastrophe nicht ganz fertig, er sollte den Ausbau der weiteren Blocks
ermöglichen, wurde jedoch hauptsächlich zum verladen des Baumaterials für den Sarkophag benutzt. Die Nordspur des Fallouts zog damals genau über diese Gegend
hinweg und hinterliess ein stark kontaminierten, kilometerbreiten Streifen. Jetzt pendelt die Dosisleistung an dieser Stelle zwischen 5 und 15 uSv/h. Einzelne Teile
der Kräne, wie z.B. eingefettete Stahlseile usw. strahlen nach über 25 Jahren immer noch stolze 100 uSv/h und mehr.
Ein ehemaliger Liquidator Yewgenij Samoilow beschreibt in seiner Erzählung “Erfolgsloser Tag” (Link der russischen Version) Geschehnisse jener Tage, die er genau an diesem
Ort durchlebt hat. 25 Jahre später, stehe ich an derselben Stelle und vervollständige seine Erinnerungen mit der heutigen Realität. Es ist wirklich schwer vorzustellen,
unter welchen Bedienungen damals, in wenigen Wochen nach dem Unfall, er und seine Truppe hier versucht haben die Gegend, samt der Kräne von der stellenweise
tödlichen Kontamination zu befreien. Sie schafften es, doch zu welchem Preis? Trotz aller seiner Anstrengungen seine Soldaten vor der Radioaktivität zu schützen,
bleibt die Antwort für immer in der Vergangenheit...
Von hier aus geht es nach Janiw, ehemals ein Güterbahnhof nahe Pripjat, der jetzt als Stellplatz und Garage des AKW Fuhrparkes benutzt wird. Hier und da stehen oder auch
liegen ein paar verrostete Loks und Waggons, manche scheinbar noch einsatzbereit die anderen weniger. Janiw hat es damals auch schwer erwischt, jedoch heutzutage ist
es hier zu meinem Erstaunen relativ sauber. Die Hintergrundstrahlung auf dem Betriebsgelände und einige hundert Meter entlang der Schienen liegt etwa zwischen 1 und 2
uSv/h. Ich denke mal dass es durch wiederholte Dekontaminierung des Geländes sowie des Schotterbetts und Gleise erreicht wurde. Seit dem letzten Besuch in 2009 hat
sich hier etwas mehr als an anderen Orten der Zone getan. Es deutet darauf, dass Janiw weiterhin als funktionierender Betrieb aktiv eingesetzt wird.
Alles Sehenswerte in Janiw liegt wenige hundert Meter entlang der Schienen wenn man jeweils in beide Richtungen geht. Nach links - geht es zum AKW, rechts - Richtung
Pripjat, zur so genannten “Todesbrücke”. Ich nahm erst die Strecke zum AKW, die mich zu einem verfallenen Lagerhaus führte. Danach ging ich wieder fast bis zur Todesbrücke
und fand dort im dichten Gestrüpp kaum zu erkennende Überreste einer Lok mit dem CCCP Logo. Auf dem Weg zurück landete ich auf dem Betriebsgelände der Bahnstation
oder der AKW Garage wie man es hier nennt. Plötzlich stand ein durch meinen Anblick mit der Kamera etwas in Verlegenheit gekommener Arbeiter vor mir: “ - Dir ist klar, dass
du dich hier auf dem Gelände eines geheimen Objektes befindest?” fragte er mit einer eindeutig zu erkennenden Ironie und zeigte auf die Kamera. Ein kurzer Smalltalk ließ
seine Zweifel mir gegenüber verschwinden. Ich bekam sogar das Gefühl, dass er sich gefreut hat hier mal jemand anders zu treffen...
Der erste Tag geht nun zu Ende. Der Weg führt uns noch einmal am AKW entlang. Dort geht wahrscheinlich auch die heutige Schicht zu Ende... Es geht zurück nach
Tschernobyl wo uns eine deftige ukrainische Mahlzeit erwartet. Vor Ort wird das Ganze mit einigen Gläsern des Nationalgetränkes abgerundet. Diesmal wird nicht wie üblich
im Hotel von Chernobyl InterInform übernachtet, sondern im wenigen Kilometer außerhalb der Zone liegenden Feriencamp “Ekopolis”. Auf dem Rückweg geht es, wie jedes Mal,
am Kontrollpunkt in Dityatki vorbei, wo uns die übliche Prozedere erwartet. “Die Ampel” des Strahlendetektors zeigt grün, wir sind raus aus der Zone...
Die Zeit bis zur Dunkelheit reicht nur für einen kleinen Spaziergang zum Fluss Teterew, der zum größten Teil durch die gesamte Zone fließt.
Die Natur dieser Gegend scheint weitestgehend unberührt geblieben zu sein. In den Randgebieten der Zone lässt sich das wohl einfach
erklären. Die Geräuschkulisse bestimmen Tausende Libellen in einem fast schon nächtlichen Himmel. Der Tag und vor allem die
Kraft geht zu neige, morgen soll es früh wieder losgehen. Ein paar Stunden Schlaf wären jetzt genau das Richtige...
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