LostPlaces/Pripyat.de Tour Mai/Juni 2011
Tag II / I
Der Morgen danach... Mit allem was dazu gehört - leichter Muskelkater vom vielen Rumlaufen und vom traditionellen Nationalgetränk selbstverständlich auch.
Ein flüchtiges Frühstück, Equipment zusammenpacken und schon geht es wieder in Richtung Dityatki. Als erstes steht auf unserem heutigen Programm die Erkundung
des Reaktorgebäudes und des Maschinenhauses der dritten Ausbaustufe. Da dieses Objekt dem staatlichen Betrieb “Komplex” obliegt, brauchen wir von dem eine
Besuchergenehmigung die meist telefonisch dem Wächter vor Ort mitgeteilt wird. Wir stehen vor dem Verwaltungsgebäude, hinter uns - eine bereits bekannte Aussicht,
die ich nicht wiederzusehen gehofft habe...
Nach einigen Minuten Fahrt stehen wir vor dem verschlossenen Tor neben der Reaktormontagehalle der dritten Ausbaustufe. Ein Smalltalk mit dem Wächter, das ich
nur optisch aus dem Auto mit verfolge, macht kein wirklich positiven Eindruck. Yevgen bestätigt mit einem verärgerten Gesichtsausdruck meine Vermutungen: Der
Wächter weiß von gar nichts und denkt noch nicht einmal dran uns auf das Gelände zu lassen. Einige Telefonate später heißt es, wir können uns draußen vor den
Blocks ein wenig umschauen, irgendetwas soll intern verkehrt gelaufen sein, eine Begehung der Reaktorgebäuden sei heute nicht möglich. Mit bedrückten Gesichtern
machen wir einfach das Beste draus - und werden nicht enttäuscht, denn hier gibt es auch draußen eine Menge interessanter Dinger zu entdecken.
Hinter der Reaktormontagehalle ragt ein durch die Sonne schwarz beschattetes riesiges Stahlgerüst in den Himmel - es ist der Reaktormontagekran. Die Besonderheit
und gleichzeitig ein großer finanzieller Vorteil beim Bau der RBMK Reaktoren ist die Modulbauweise direkt vor Ort. Somit entfällt die aufwendige Herstellung und der
Transport von weit entfernten Reaktorwerken zur AKW Baustelle. Mit demselben Kran wurden alle 4 Reaktoren des AKW Tschernobyl montiert.
Der weitere Weg am Montagekran führt an Bergen von verschiedenstem Metallschrott vorbei. Alles was halbwegs frei von Kontamination ist, wird demontiert, kleingesägt
und zur weiteren Verwendung in Schmelzöfen weggebracht. Andere, stärker kontaminierte Metallkonstruktionen werden vor Ort sandgestrahlt und ebenso weiterverwertet.
Einige sehr stark mit radioaktiven Partikeln belastete Stücke werden meist zu den so genannten “Grabstellen” abtransportiert und dort in betonierten Becken vergraben.
Eines dieser Stücke hat die ohne hin unempfindlich eingestellte Warnschwelle meines Dosimeters aktiviert. Eine Messung ergab an einer Stelle 3,7 mSv/h.
Es ist absolut wolkenlos und heiß, es kommt mir noch heißer als gestern vor. Wir entfernen uns von den Blocks in Richtung Kühltürme. Die Gegend ist grösstenteils
frei von Bäumen und Gestrüpp, uns erschliessen sich einmalige Aussichten der gesamten dritten Ausbaustufe. Irgendwo hier sollte sich eine kleine werkseigene
“Grabstelle” befinden. So werden die teilweise riesigen Gruben für hochradioaktive Abfälle von den hier arbeitenden Menschen umgangssprachlich genannt.
Im Gegensatz zu der eigentlich ungewöhnlichen Stille um die Blocks, hört man hier zunehmende Geräuschkulisse eines scheinbar funktionierenden Betriebes.
In ein paar hundert Metern vor uns befindet sich ein Lagerplatz, ab und an bringt der Wind menschliche Wortlaute mit sich. Hier wird eindeutig gearbeitet.
Plötzlich stehen wir vor dem Tor eines umzäunten Geländes. Das Schild am Tor und die gelb roten Warnschilder verraten, dass wir unser Ziel nun erreicht haben.
“Lagerstätte für radioaktive Abfälle der dritten Ausbaustufe”. Ein paar Sandhügel, ist alles was man hier zu sehen bekommt.
Auf dem weiteren Weg passieren wir die nicht fertig gebaute Feuerwehrwache der dritten Stufe. Danach folgt der oben erwähnte Lagerplatz. Wie es aussieht werden hier
Bau- und Hilfsstoffe gelagert. Die Stimmen der Arbeiter werden immer deutlicher- einige Schritte weiter werden wir bemerkt und gerufen. Allen ist klar, dass das hier kein
frei zugängliches Gelände mehr ist und so werden wir von zwei Männern und einer Frau, die sich als Mitarbeiter von “Novarka” ausweisen, über unsere Ziele ausgefragt.
Wir entschuldigen uns für unser “Verlaufen”, versichern, dass wir keine Aufnahmen gemacht haben und verlassen das Gelände in Richtung Kühlturme...
Die Kühltürme, die wir gestern bereits besichtigt haben, bieten von dieser Seite aus eine noch schönere Aussicht. Die Gegend hier ist ebenso mit allerlei Industrieschrott
vermüllt. Einiges stammt noch aus der Bauzeit, andere Gegenstände so wie ein dicker Brocken Bleiglas und ein vom Panzer überrollter PKW - eindeutig aus der Zeit
der Aufräumarbeiten nach dem Unfall.
Weiter geht es entlang der Schienen zurück zu den Blocks der dritten Ausbaustufe. Zur rechten Seite erstreckt sich der Kühlteich, vor uns - der berühmte “Schornstein”
des AKW, links - die Blöcke 5 und 6. Trotz der Enttäuschung am Anfang, war es doch ein sehr gelungener Spaziergang, den man sonst nicht hätte machen können.
Den nächsten Versuch der Besichtigung der Blocks von Innen verlegen wir auf morgen, denn eigentlich sollte genau das das Highlight dieser Reise werden...
Der Weg zurück zum Ausgangspunkt des Spaziergangs führt direkt zur Reaktormontagehalle. Die Türen sind offen, es scheint keiner da zu sein den man stören könnte.
Zu meiner Verwunderung ist die Halle im wahrsten Sinne des Wortes tatsächlich wie leergefegt. Vor über 2 Jahren konnte man hier kaum einen Fuß fassen, doch mittlerweile
ist alles weg, samt dem unteren Teil des RBMK Reaktors. Jetzt wird mir klar, woran mich die grün lackierten Rohrleitungen draußen auf dem Hof erinnert hatten...
Am Auto angekommen, wartet eine nette Überraschung auf uns: unser Guide Sergej hat sich mit dem Wächter ein wenig angefreundet, der uns daraufhin erlaubt die
Blocks vom Feuerwehrtreppenaufgang anzuschauen. Seitlich an der Wand befestigte, jedoch nach all den Jahren nicht mehr so stabile Aufgang, bietet eine perfekte Aussicht.
Unten am Boden sind durch den wilden Baumwuchs nur die oberen Geschosse der Blocks zu sehen. Von hier oben liegen die Blocks wie auf der Hand...
Hier sind wir nun fertig. Danke an den gnädigen Wächter. Hoffentlich steht hier morgen früh ein anderer. Draußen
hat man nun alles gesehen. Morgen wollen wir rein. Yevgen macht Hoffnung, es ist auch schließlich in seinem
eigenen Interesse - auch wenn er schon einmal drin war - “einmal ist kein mal”. Hinterher bekommen wir mit, was die
Ursache für das frühmorgendliche Scheitern war: unser Guide hat wohl nicht den richtigen “Komplex”- Zuständigen
angetroffen. Wir sind quasi “auf gut Glück” hierhergefahren. Und hatten Pech...
Wie auch immer, der nächste Halt ist
Pripjat...
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