LostPlaces/Pripyat.de Tour Mai/Juni 2011
Tag II / II
Auf dem Weg nach Pripjat macht man nach einer alten Tradition einen kurzen Halt am Pripjat Denkmal, welches noch zu Lebzeiten der Stadt gleichzeitig auch das
Ortsschild war. Wie fast jedes Jahr wurde das Denkmal auch dieses Mal zum 25. Jahrestag der Katastrophe neu gestrichen. Selbst die gesamte Asphaltdecke vom
Denkmal über die Todesbrücke bis hin zum Kontrollpunkt von Pripjat ist neu geteert worden. Na ja, fast die gesamte. Irgendwann in Richtung Tschernobyl reichte
entweder die Lust oder das Geld nicht mehr aus. Die letzten Kilometer ließ man im alten, völlig löchrigen Zustand ruhen. Aber auch nicht ganz: die frische Mittellinie
hat man bis zum Ende, über die alten Schlaglöcher tapfer durchgezogen. So fällt wohl der Übergang nicht so schnell auf - hat man sich wahrscheinlich gedacht.
Nach einem Check geht die Schranke des Kontrollpunktes “Pripjat” hoch und wir fahren in die Stadt hinein. Es ist immer wieder dasselbe Gefühl, wenn man entlang der
Lenin Straße in die Stadt kommt. Dichtes Grün verdeckt noch die leeren Fenster der verlassenen Wohnhäuser. Das vor wenigen Jahren aufgestellte orthodoxe Holzkreuz
wiederspricht dem verfallenen, sowjetisch geprägten Flair. Wenige Meter weiter findet man sich auf dem Zentralplatz mit allen bekannten Gebäuden wieder.
Hotel “Polessje” und Kulturpalast “Energetik” - sind die Anlaufstellen der heutigen Geisterstadt. In den letzten Jahren hat sich hier bis auf wenige mutwillige Zerstörungen
und den normalen Verfall wenig getan. Wir schlendern durch die Räumlichkeiten des Kulturpalastes. Zum ersten Mal betrete ich den Raum mit der größten Ansammlung
von Propagandarelikten in Pripjat und der gesamten Zone: Von Bildern der Parteifunktionäre bis hin zu den Anti-Alkohol Kampagnen - Plakaten ist hier so ziemlich alles
vertreten. Danach geht es in die Aula. Alle wichtigen sozialen und kulturellen Ereignisse in Pripjat fanden damals genau hier statt.
Jetzt ist das Hotel an der Reihe. Auch hier hat sich in letzten zwei Jahren nicht viel getan. Einige Gegenstände sind nicht an ihren alten Plätzen wiederzufinden. Plötzlich
tauchen sie woanders auf, oftmals geschieht es um irgendetwas fotographisch in Szene zu setzen. Für uns hält das Hotel auch eine kleine Überraschung parat - vor zwei
Tagen waren hier zwei meiner Bekannten aus Russland unterwegs, die als nette Geste eine Flasche des Nationalgetränkes, eine Dose Sprotten und ein mit viel Mühe
geschriebenen Brief in deutscher Sprache in einem Raum des Hotels für uns versteckten. Die Beschreibung des Verstecks bekam ich per SMS am Abend davor...
Der berühmte Balkon vom Hotel, die Birke die durch die Fliesen wächst, die Fliesen. Mir kommt es vor, als ob hier jemand jedes Mal den Boden wischt. Die ganze Stadt
ist verfallen, alles hat seinen Glanz verloren. Nur die Fliesen nicht. Zu jeder Jahreszeit sehen sie wie neu aus... Im Gegensatz zu den Stühlen. Der Zahn der Zeit hat an
ihnen sichtliche Spuren hinterlassen. Die Birke ist seit dem auch kaum gewachsen. Es ist sowieso ein Wunder, dass die hier überhaupt gedeihen kann...
Der Rummelplatz. Einst ein Ort der Freude und des Vergnügens bietet für diese Jahreszeit einen recht gewöhnlichen Anblick: Die strahlend gelben Gondeln des Riesenrads
glänzen im Kontrast zu der rostigen, beängstigend unstabilen Stahlkonstruktion. Wie lange noch wird es der Natur, die die Stadt immer fester im Griff hält standhalten? Wie
lange wird noch dieser jetzt schon kaum zumutbare Zustand der Stadt erhalten bleiben? Um trübe Gedanken zu vertreiben hohle ich die Kamere heraus...
Wir entschließen Schutz vor der prallenden Mittagssonne in den Hallen und Räumen von “Jupiter”, einer verlassenen Fabrik in Pripjat zu suchen. Die unzähligen Büro- und
Laborräume können beim genaueren Erkunden mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Durch die Abgelegenheit und den großen Vorrat an wiederverwertbaren
Stoffen geriet “Jupiter” in der Vergangenheit immer öfter ins Visier der “Metallisten”, so werden hier die halblegalen Schrottjäger genannt.
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